Ursula von der Leyen und die religiösen Fanatiker
Silvio Duwe 02.08.2010
Der Kontakt zum Arbeitskreis Christlicher Publizisten (ACP) gehört zur Familientradition, mit dem auch andere CDU-Größen in Kontakt stehen
Die
religiöse Rechte scheint eine besondere Anziehungskraft auf Politiker
auszuüben, die offensiv mit ihrem christlichen Glauben umgehen und
versuchen, diesen in Politik, vor allem aber in Wählerstimmen
umzusetzen. Ein gelegentlicher Auftritt am "äußerst rechten Rand" des Christentums
kann die bibeltreuen Christen bei der nächsten Wahl gewogen stimmen,
die restliche Bevölkerung wird diesen Ausflug zu den Fundamentalisten
nicht bemerken, so scheint das Kalkül. So fand sich beispielsweise
Christian Wulff im Kuratorium von ProChrist wieder (Wulff: Ein Missionar auf dem Weg nach Bellevue?), einem Missionierungsverein, der Experten wie der Journalistin und Theologin Kirsten Dietrich als fundamentalistisch gilt.
Auch vor Küngeleien mit Vereinigungen wie dem Arbeitskreis Christlicher Publizisten (ACP),
der schon 1991 vom Spiegel als "Gemengsel freikirchlicher Eiferer, das
gern Politiker vor seinen missionarischen Karren spannt", bezeichnet
wurde, wird da nicht zurückgeschreckt. Das wohl aktuell bekannteste
Beispiel hierfür dürfte Wulffs vielkritisierte Rede beim ACP im Mai 2010
sein. Doch Wulff ist mit seinem Kuschelkurs gegenüber christlichen
Fundamentalisten nicht alleine. Auch andere Unionspolitiker wie Volker
Kauder oder Ursula von der Leyen lassen sich vom ACP einspannen. Bei
letzterer gehört eine gewisse Nähe zum ACP schon geradewegs zur
Familientradition. Von der Leyen und Co nehmen dabei bewusst in Kauf,
dass sie die religiöse Rechte aufwerten und in ihren Vorstellungen
bestärken.
Vorzeigechrist Ernst Albrecht
Seinen
letzten Auftritt im Zusammenhang mit dem ACP absolvierte Christian
Wulff am 19. Mai im Bibelzentrum Bad Gandersheim. Laut seinem Sprecher
ging es Wulff vor allem darum, an der Ehrung seines Freundes Ernst
Albrecht teilzunehmen – diese Ehrung wurde Albrecht zuteil, weil er "in
der Öffentlichkeit immer wieder glaubhaft Zeugnis von seinem
christlichen Glauben abgelegt" habe, wie der niedersächsische
Kultusminister Althusmann (CDU) am 10. Juni im Landtag erklärte.
Die
Ehrung des CDU-Mannes Albrecht kommt nicht von ungefähr, seit
Jahrzehnten ist der ehemalige Ministerpräsident und Vater von
Arbeitsministerin von der Leyen ein gern gesehener Gast bei den
"christlichen Publizisten". So ist der Auftritt von Albrecht auf einer
ACP-Bundestagung aus dem Jahr 1979 dem Verein derart wichtig, dass
dieser ihn in seiner Chronik aus dem Jahr 2008 explizit erwähnt. Bereits 1984 berichtet
der Spiegel, dass Ernst Albrecht vom Arbeitskreis mit einem Preis
bedacht wurde, und auch in den folgenden Jahren wurde Albrecht immer
wieder gern eingeladen. So steht der Vorzeigechrist Albrecht bis ins
Jahr 2008 hinein auf der Gästeliste zu ACP-Veranstaltungen.
Das
Engagement von Familienvater Albrecht für den umstrittenen christlichen
Verein hat offenbar auf die Tochter abgefärbt: auch Ursula von der
Leyen scheut sich nicht vor dem Kontakt mit den eifrigen Christen.
Folgerichtig lächelt sie auf einer Ausgabe der ACP-Zeitschrift aus dem
Jahr 2006 vom Titelblatt – sie hatte dem ACP ein Interview gegeben,
damals noch als Familienministerin. Dort rechtfertigt sie Kürzungen im
Sozialbereich mit ihrem christlichen Menschenbild: Der Staat habe weit
in den Alltag der Menschen eingegriffen und damit Eigeninitiative
erstickt. In Zeiten klammer Kassen habe man entdeckt, dass
unentgeltliches Engagement der Menschen für die Mitmenschen besser und
erfolgreicher sei, als das des Staates. Damit würde das Prinzip der
Großfamilie wiederentdeckt, jedoch ohne familiäre Bande, so von der
Leyen.
"Wer täglich betet, hat mehr Kinder"
Die
Großfamilie ist auch ein wichtiges Thema für den ACP, denn die
christlichen Publizisten wissen: Deutschland ist ein "Volk ohne Kinder",
der "Niedergang Deutschlands" bremse das Wirtschaftswachstum und sollte
sich die Entwicklung fortsetzen, sei sogar "das Ende unseres Volkes
abzusehen". Die Lösung des Problems ist laut ACP recht einfach – beten.
Denn "Wer täglich betet, hat mehr Kinde."
In den
ACP-Informationen wird das sogar mit einem Beweisfoto belegt, dass Ernst
Albrecht im Kreise seiner Großfamilie zeigt – er hat insgesamt sieben Kinder und 31 Enkel,
wobei Ursula von der Leyen allein sieben beisteuert. Zumindest bei den
Albrechts scheint das Beten also recht fruchtbar zu sein. Mit seiner
Kinderschar zögert die Vorzeigefamilie sogar das Ende der Deutschen ein
wenig hinaus: "Wenn die Türken hier mal die Macht übernehmen, kann's an
Albrecht nicht gelegen haben", verraten die christlichen Publizisten in
der Bildunterschrift unter dem albrechtschen Familienfoto.
Allerdings
verschweigt der ACP in seinem Artikel über die Unterschiede der
Geburtenrate, die bei täglich Betenden mit 2,06 Kindern zu 1,39 Kindern
bei nie Betenden liegen soll, eine andere Erkenntnis des Statistischen
Bundesamtes. Dieses schreibt zu den Geburten in Deutschland: "Je höher der Bildungsstand, desto eher sind Frauen in Deutschland kinderlos."
Im
Umkehrschluss würde das bedeuten, dass eine geringere Bildung zu
stärkerer Religiosität führt – in gewisser Weise unterstützen einige
besonders bibeltreue Christen dies, indem sie ihre Kinder möglichst von der Schule fern halten
und einem gottgefälligen Hausunterricht unterziehen wollen. Ob Ursula
von der Leyen wie auch der ACP für das Recht auf Hausunterricht
eintritt, war nicht in Erfahrung zu bringen, alle Anfragen von Telepolis
zu ihrem Verhältnis zum ACP und dessen religiösen Ansichten blieben
unbeantwortet.
Es ist nicht der einzige Kontakt von
der Leyens, die laut dem ACP-Interview durch "das tiefe Vertrauen, dass
es eine höhere Instanz gibt" in der "tiefen Krise" ihrer Pubertät
stabilisiert worden sei, zu umstrittenen religiösen Eiferern. So
übernahm von der Leyen die Schirmherrschaft für das Christival 2008, das
wie auch das umstrittene ProChrist ein selbständiges Werk
der evangelikalen Evangelischen Allianz Deutschland (EAD) ist und
ursprünglich auch einen Workshop zur Heilung von Homosexualität im
Programm hatte – was zu heftigen Protesten führte. Schließlich musste das das Familienministerium intervenieren, der Programmpunkt wurde abgesetzt (Die religiöse Härte hinter dem Lächeln).
Ersatzlos
gestrichen war es deswegen allerdings nicht: ProChrist-Prediger Ulrich
Parzany verstand den Protest gegen das Seminarangebot als Intoleranz,
rief die Anhänger der wörtlichen Bibelauslegung mit den Worten "Steht auf, wenn ihr Christen seid" zum Widerstand gegen die "angeblich so tolerante postmodernen Gesellschaft" auf – und veranstaltete ersatzweise ein Seminar zur Absage des Seminars.
Was zu friedlichen Protesten von sich küssenden Homosexuellen führte,
worauf die Polizei jedoch mit dem Einsatz von Gewalt antwortete.
Ähnlich
angestaubte Positionen vertritt auch der ACP, der in seiner Zeitschrift
schon mal unkommentiert fromme Verse wie 3. Mose 20, 11 zitiert:
Schläft
einer mit einem Mann wie man mit einer Frau schläft, dann haben sie
eine Gräueltat begangen; beide werden mit dem Tode bestraft
Aus ACP-Informationen 6/2005
Manch
einem ist diese Art der Frömmigkeit etwas zu viel des Guten, so
schreibt der ACP, dass wegen dieses Inhalts der ehemalige ZDF-Journalist
und künftige Regierungssprecher Steffen Seibert ein Interview ablehnte,
und zitiert sein Ablehnungsschreiben, in dem Seibert erklärt, dass
diese Auffassung zur Homosexualität nichts mit seiner Auffassung vom
Christentum zu tun habe und er dies "in keiner Form unterstützen
möchte". Eine solche Absage freilich kann der ACP wiederum nicht
unkommentiert stehen lassen und fügt an: "Nach einer Meldung der ARD hat
die AIDS-Erkrankung um 20 Prozent zugenommen. Dies ginge wesentlich zu
Lasten homosexueller Praktiken." Ein guter Christenmensch, so will der
ACP Seibert damit wohl sagen, muss gegen die "praktizierte
Homosexualität" zu Felde ziehen, will er sich nicht mitschuldig machen
an der Verbreitung von HIV und AIDS.
Annette Schavan, Franz Josef Jung und Volker Kauder
Seibert
beweist damit aber auch, dass es durchaus möglich ist, nicht in das
Fettnäpfchen namens ACP zu treten, das laut dem
Weltanschauungsbeauftragten der evangelisch-württembergischen
Landeskirche Hemminger quantitativ keine Bedeutung
habe, und prominente Gesichter gern zur Selbstdarstellung nutzt. So
geriet beispielsweise Annette Schavan (CDU) bereits im Jahr 2003 in die Kritik, weil sie dem ACP ein Interview gab und auf dem Titelblatt erschien. Es folgten, von der Öffentlichkeit bisher nicht wahrgenommen, Auftritte von Franz Josef Jung in seiner Funktion als Verteidigungsminister und Hans-Jürgen Papier als Präsident des Bundesverfassungsgerichts in der Zeitschrift des ACP.
Den
jüngsten Fehltritt dieser Art leistete sich Volker Kauder. Der
Fraktionsvorsitzende von CDU/CSU im Bundestag setzt sich
leidenschaftlich für verfolgte Christen weltweit ein. Vom Rücktritt des
Bundespräsidenten Köhler Ende Mai erfuhr er in der Türkei, wo er sich
über die Lage der dortigen christlichen Minderheiten informieren wollte,
im August fliegt er statt in den Sommerurlaub nach Indonesien und
Malaysia, um für mehr religiöse Freiheit für die dort lebenden Christen
zu werben.
Möglicherweise
hat sich Kauder nichts dabei gedacht, als der ACP ihn um ein Interview
fragte und der Fraktionsvorsitzende verriet, dass er bei schwierigen
Entscheidungen "für diesen Zugang zum Vater im Himmel dankbar" sei und
der "Mensch als Ebenbild Gottes" nicht zur Disposition gestellt werden
dürfe, weil die Menschenwürde weder von der Gesellschaft noch der
Politik, sondern von Gott komme. Die Bezeichnung "Arbeitskreis
christlicher Publizisten" macht immerhin auf den ersten Blick einen
seriösen Eindruck. Möglicherweise wusste Kauder aber genauso gut wie von
der Leyen und Wulff, mit wem er da gesprochen hat. Eine Stellungnahme
zu diesem Thema jedenfalls will er nicht abgeben, so eine Sprecherin auf
Anfrage von Telepolis. Auch zur Frage, ob die Religionsfreiheit ein
Recht auf Heimunterricht bedeutet, möchte sich Kauder lieber nicht
äußern.
Bundespräsident Christian Wulff hingegen hat
still und heimlich Konsequenzen aus dem Wirbel um seine Nähe zu
christlichen Fundamentalisten gezogen: Sein Name taucht mittlerweile
nicht mehr bei den Unterstützern von ProChrist
auf – die von seinem Sprecher angekündigte Prüfung aller
Mitgliedschaften im Falle seines Einzugs ins Schloss Bellevue ist
offenbar negativ verlaufen.
Quelle: heise.de
http://www.heise.de/tp/artikel/32/32996/1.html